Die Familie ist nach den letzten Lebenstagen des Verstorbenen erschöpft und ausgelaugt. Wer hätte gedacht, dass Sterben so fordernd ist. Die Momente, die die letzten hätten sein können, waren unendlich kostbar. Dafür blieb alles andere liegen. Und jetzt steht da noch das leere Pflegebett, umgeben von Pflegehilfsmittel-Verpackungen. In der Küche verschiedene Tees, starker Kaffee und offene Kekspackungen für die Wachen am Sterbebett. Da war es gut, dass die Bestatterin die Dinge in die Hand genommen hat, denn noch kann niemand einen klaren Gedanken fassen. Alle wünschen sich eine individuelle Trauerfeier, aber die Erinnerung an die letzten Tage ist schwer und raumgreifend und lässt keinen Platz für Kreativität.
Die jüngste Tochter geht mit Mutters Erlaubnis an Vaters Schreibtisch und entdeckt ganz hinten in einer Schublade eine Schatzkiste. So steht es jedenfalls drauf, und dazu ein Zettel: „Nach meinem Tod dürft Ihr alles lesen!“ Vorsichtig öffnet sie die Kiste und beginnt zu lesen: ein Schulaufsatz, erste Liebesbriefe, Geburtsanzeigen und Baby-Fußabdrücke der Kinder, wenige Urlaubsfotos und eine Ehrung zur 40-jährigen Betriebszugehörigkeit. Sein Segelschein und sein Impfausweis, sehr kurios.
Vor den Augen der jüngsten Tochter und dann auch für die herbeigerufene Mutter und Geschwister entfaltet sich das ganze Leben des Verstorbenen anhand dieser Schätze. Und sie beschließen: das wird Thema der Trauerfeier!
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