Queen’s Piper

Im Schloss Windsor hört die Königin wie jeden Morgen ihren Dudelsackspieler spielen. Er trägt seine Melodien als Reminiszenz an die Schottlandliebe des Königshauses vor. Und er erinnert daran, dass Schottland auch zu ihrem Reich gehört. Heute hat die Königin eine Idee und bestellt den Dudelsackspieler in den Terrassensaal. Sein Erstaunen lässt er sich kaum anmerken, obwohl es unüblich ist, dass die Monarchin ihn anspricht.

Sie sagt ihm in herzlichen Worten, wie sehr ihr sein tägliches Spiel Freude macht. Dann fragt sie ihn, ob es nicht auch traurige Melodien gebe, etwa für eine Beerdigung. Wie in einer Prüfung zählt er gehorsam einige Titel auf. Welche er persönlich am meisten möge, fragt sie ihn. Zögernd antwortet er: „Sleep, Dearie, Sleep“. „Nun, dann spielen Sie es jetzt einmal!“ Er blickt zweifelnd auf den Terrassensaal, in seinem Blick ein „Das wird aber laut!“, doch sie nickt ihm aufmunternd zu. Und er beginnt.

Daraufhin schließen die beiden Hausdiener, die an der Tür stehen, in würdiger Eile die Saaltür. Der eine geht bei dem Lärm sogar ganz weg. Das Dudelsackspiel ist so laut, dass es in einen anderen Saal dringt, wo eine Schar von Hausmädchen die Bestuhlung abstaubt. Eine von ihnen beginnt, träumerisch und textsicher die Worte von „Sleep, Dearie, Sleep“ mitzusingen. Man hört an ihrem Akzent, dass sie Schottin ist. Die Zeit bleibt förmlich stehen und die anderen Hausmädchen, der verbliebene Hausdiener und die Königin lauschen der melancholischen Dudelsackmelodie. Die Kamera fährt nahe an das Gesicht der Königin, die sonst unerschütterlich und souverän ist, und der nun Tränen in den Augen stehen.

In einer späteren Szene gestehen sich Königin Elisabeth II. von England und ihr Ehemann Prinz Philip, dass sie gegenseitig die Ablaufpläne für ihre Beerdigungen gelesen haben. Sie weiß, dass er einen grünen Landrover als Leichenwagen für sich bestimmt hat. Er weiß, dass sie „Sleep, Dearie, Sleep“ für ihren Trauergottesdienst ausgesucht hat.

Der Ablauf der königlichen Beerdigungen wird Jahre vorher generalstabsmäßig festgelegt, damit alle Traditionen, Ehrungen und Gäste ihren Platz darin finden. Es heißt nicht einfach: „Die Königin ist tot!“, sondern sobald „London Bridge is down“ gesagt wird, beginnen die sorgfältig geplanten Schritte zur Information der Regierung und der Medien und zum Staatsbegräbnis wie Zahnräder ineinander zu greifen.

In der aufwendigen Netflix-Produktion „The Crown“ wird das Leben der englischen Königin Elisabeth II. dargestellt. Die Schreiber des Drehbuches haben sich außerhalb der historischen, bekannten Begebenheiten Freiheiten genommen, um Ereignisse und Verflechtungen zu erklären. Aus Achtung vor der Geschichte der Gegenwart des englischen Königshauses endet die letzte Staffel, als die Königin 80 Jahre alt ist. Die Dreharbeiten zu dieser letzten Staffel wurden respektvoll unterbrochen, als die Königin 2022 starb. Die „Sleep, Dearie, Sleep“-Szene wurde vermutlich erst danach ins Drehbuch geschrieben. Es ist ein bewegender Abschnitt darüber, welche Botschaft man der Nachwelt übermitteln möchte.

Foto: Evie Fjord auf Unsplash

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